DIE ENTDECKUNG DER LANGSAMKEIT Zur Keramik von Roland
Summer von
Josef Strasser Roland
Summer (*1955) lebt und arbeitet in Velden am Wörthersee, einem kleinen Ort in
Kärnten im Süden Österreichs. Die traumhaft schöne Landschaft lädt ein zum
Verweilen und Entspannen - und kreativ arbeiten lässt sich in einer solchen
Umgebung sicherlich auch. Österreich
ist eigentlich kein Keramikland. Zwar kann man auch hier auf historische Wurzeln
zurückblicken wie etwa die Gmundener Keramik, die an der Grenze zu Deutschland
entstanden ist, oder später die Keramik der Wiener Werkstätten, aber insgesamt
gesehen findet die moderne Keramik hier kaum günstige Strukturen vor. Es gibt
in ganz Österreich keine Museen, die sich speziell diesem Gebiet der
angewandten Kunst widmen, keine großen Galerien, die ihre Keramiker
international vertreten, keine Zentren und kaum Sammler für zeitgenössische
Keramik. Um so mehr erstaunt es, dass dieses kleine Land doch vereinzelte
Keramiker hervorbringt, deren Arbeiten auch im internationalen Vergleich
bestehen können, ja sogar großen Anklang finden. Zu
diesen gehört zweifelsohne Roland Summer. Seine Arbeiten haben nichts mit
Österreich zu tun, abgesehen davon, dass sie hier entstanden sind. Sie sind
ortsunabhängige Produkte in einer globalisierten Welt. Seine Formen und
Techniken zeigen die Auseinandersetzung mit vergangenen Kulturen in den
verschiedensten Erdteilen. Afrika, speziell der Sudan spielt eine Rolle, ebenso
wie Asien und natürlich Europa. Summer arbeitet mit Raku, einer alte
japanischen Töpfertechnik, die ursprünglich untrennbar mit dem Zen-Buddhismus
und der Teezeremonie
verbunden war. Ebenso wichtig für Summers Werk ist die „Terra Sigillata“,
die ihren Ursprung im Italien der Römerzeit hat und die er in einer ganz
spezifischen Weise anwendet. Seine umfangreichen Kenntnisse alter Kulturen und
Techniken stellen für Roland Summer jedoch lediglich einen Ausgangspunkt für
seine eigenen Schöpfungen dar, die ganz im Hier und Jetzt stehen, Traditionen
überwinden und auf die Zukunft ausgerichtet sind. Roland
Summers Hinwendung zur Keramik erfolgte erst relativ spät. Zunächst studierte
er Architektur an der Technischen Universität in Graz (1974-80). Obwohl er sich
schließlich gegen diese Fachbereich entschied, prägte ihn der Umgang mit
Architektur bzw. mit deren Fragen, die letztendlich auch Fragen der Menschheit
sind, nachhaltig. Vor allem die Begegnung mit Hugo Kükelhaus (1900-1984), einem
wichtigen Impulsgeber für Pädagogik (Erfahrungsfeld der Sinne), Architektur
und ökologische Denkweisen, war im
Nachhinein gesehen wohl der entscheidende Anstoß für Summers Hinwendung zur
Keramik. Beeindruckt von dessen Vielseitigkeit, von der Fähigkeit, die
unterschiedlichsten Dinge vor dem geistigen Auge zu verbinden, reifte in Summer
schließlich die Entscheidung, etwas mit den Händen schaffen zu wollen, nicht
im Großen zu planen, sondern im Kleinen zu gestalten, zu bauen. Nach
einer langen Phase des Experimentierens, nach zahlreichen Irr- und Umwegen fand
Summer schließlich Ende der 1980er Jahre seinen eigenen Weg. Zeit spielte und
spielt dabei eine große Rolle. Das sieht man – ganz im positiven Sinne –
seinen Arbeiten auch an. Er arbeitet nicht mit der „schnellen“
Töpferscheibe, sondern baut seine Keramiken Zentimeter um Zentimeter auf. Sie
wachsen langsam aus sich heraus. Es handelt sich um organische, weich gerundete
Formen, die auch Summers bevorzugter Technik, der Terra Sigillata, und deren
Eigenschaften am besten entsprechen. Der
„magische Moment“ entsteht bei Summer nicht nur nach dem Brand, sondern auch
schon vorher, und zwar in dem Augenblick, in dem das fertig geformte, noch
feucht glänzende Werk auf dem Arbeitstisch steht. Das ist einer der
spannendsten Zeitpunkte im Schaffensprozess. Das bedeutet aber nicht, dass die
weitere Bearbeitung unwichtig wäre. Ganz im Gegenteil; denn nun kommt mit dem
Auftrag der teilweise ganz unterschiedlich gefärbten Terra Sigillata ein neuer
Schritt hinzu, der für das endgültige Aussehen seiner Keramiken von
entscheidender Bedeutung ist. Die Terra Sigillata holt nicht nur den durch das
Trocknen und Brennen verlorenen Glanz zurück, sondern ist zugleich Träger der
Rauchspuren, die so charakteristisch für sein Werk sind.
Roland
Summer hat dafür eine ganz eigene Technik entwickelt. Er spricht von der „Verlorenen
Glasur“. Die Gefäße werden nach dem Schrühbrand mit einer Trennschicht
(Engobe, manchmal in Kombination mit Glasur) überzogen, in die beispielsweise
Linien eingeritzt werden, die aber auch ohne Bearbeitung beim Rakubrand
Craquelé bildet. Diese Schicht platzt während der Abkühlungsphase durch das
Eintauchen in Wasser ab und hinterlässt auf der Oberfläche ihr Negativbild in
Form von Rauchspuren. Aus
der Entfernung wirken die Arbeiten wie herkömmlich glasierte Keramiken. Bei
näherem Hinsehen fallen die Unschärfen der Zeichnung ins Auge. Die Linien und
Craqueléspuren beginnen zu verschwimmen. Sie sind nicht wirklich, sondern nur
deren Abbild. Gleichzeitig bilden sie eine untrennbare Einheit mit dem Gefäß,
treten nicht als Auftrag sondern als Material selbst in Erscheinung. Das
unterscheidet Summers Arbeiten von glasierten Keramiken. Für ihn ist die Glasur
ein Zusatz, ein „oberflächlicher“ Auftrag, der nicht aus dem Gefäß selbst
heraus kommt. Bezeichnenderweise wird bei ihm die Glasur nach dem Brand
abgesprengt. Sie ist nur Mittel zum Zweck, nicht aber Teil des fertigen Objekts. Die
glatten und polierten Oberflächen verleihen den Arbeiten Summers je nach Art
der Zeichnung und Färbung ganz unterschiedliche ästhetische Qualitäten. So
bekommen die mit Linien versehenen Gefäße fast einen ätherischen Charakter, während
vor allem die jüngst entstandenen hellen Arbeiten mit den zart gewölkten
Rauchspuren Marmor assoziieren lassen. Wichtig
ist für Roland Summer aber auch, dass man in seine Keramiken hineinsehen kann.
Sie haben eine Öffnung, so dass das Innen und Außen sichtbar und begreifbar
wird. Damit wird deutlich, dass es sich um Gefäße handelt, auch bei den jüngsten
Arbeiten mit den asymmetrischen seitlichen Ausbuchtungen, die an Werke von Hans
Arp denken lassen, oder den idolartigen Formen. Immer handelt es sich um Gefäße
und nicht um Objekte, und fast immer spielen dabei runde Formen eine wichtige
Rolle. Runde
Formen sind zudem erotischer als eckige. Und Erotik spielt in Summers Werk
ebenfalls eine, wenn auch eher untergründige Rolle. Nicht von ungefähr
verglich eine seiner koreanischen Bewunderinnen die körperhaften Formen mit
ihren handschmeichlerisch glatten Oberflächen mit der „Haut der Frauen“. Ein
weiterer Aspekt in diesem Kontext sind Summers Paare, die seit Mitte der
neunziger Jahre sein Werk wie ein roter Faden durchziehen. Hier handelt es sich
nicht nur um das Nebeneinander zweier Gefäßkörper, hier kommt noch etwas
anderes hinzu: die Körper
korrespondieren nicht nur mit dem sie umgebenden Raum, sondern vor allem auch
miteinander, bauen eine Beziehung auf. Der Raum zwischen ihnen tritt nun als
negativer Raum („Leerraum“) in Erscheinung und erhält dadurch ein
besonderes Gewicht. Aus den Gefäßkörpern wird Architektur im Raum. Gerade bei
den Paaren zeigt sich deutlich, wie sehr Summers Raumauffassung durch seine
(frühere) Beschäftigung mit Architektur geprägt ist. Betrachtet
man Summers Gefäßformen über die Jahre hinweg, so zeigen sich sowohl
Konstanten als auch Veränderungen. Gemeinsam ist seinen Arbeiten ein sehr
meditativer Charakter, der sowohl etwas mit den äußeren Formen zu tun hat, als
auch mit dem Prozesshaften, das sich aus seiner Arbeitsweise ergibt. Die
Gefäßformen von Roland Summer zeichnen sich darüber hinaus durch eine gewisse
Strenge aus, die sich erst in jüngster Zeit bei einigen Arbeiten etwas
aufzulösen beginnt. Trotz aller Strenge und Präzision wirken seine Arbeiten
jedoch nicht leblos, kalt und langweilig. Kaum wahrnehmbare
Unregelmäßigkeiten, kleine Verschiebungen, leicht schräge, statt gerade
Linien bewirken, dass die Formen immer Leben und Spannung ausdrücken –
unterstützt von den Unregelmäßigkeiten und manchmal auch Zufälligkeiten der
Rauchspuren. Manche
Formen lassen auch klare Entwicklungslinien erkennen, etwa wenn die Gefäßpaare
zusammenwachsen und zu einer Form verschmelzen. Einige der an Fruchtformen
erinnernden Gefäße haben ihren Ursprung in dieser Entwicklung. Andere wiederum
verfolgen eine weitere Linie, wie etwa die Porzellanobjekte, die 1999 aus einem
Ausstellungsprojekt der Porzellanmanufaktur Meißen hervorgingen. Wenngleich
dies bislang Summers einziger Ausflug in die Welt des Porzellans war, zeigt sich
daran doch ein Wesenszug seiner Arbeit: sein offener Blick und die damit
verbundene Experimentierfreudigkeit. Jeder Schritt ist dabei wohl überlegt und
durchdacht. Diese geistige Durchdringung ist zugleich auch eine Haltung, die an
all seinen Keramiken deutlich zu erkennen ist und die sein Werk so unverkennbar
eigenständig macht. Nicht umsonst erhielten seine Arbeiten zahlreiche
Auszeichnungen und wurden vielfach auch international ausgestellt,
beispielsweise in Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Niederlande,
Belgien, Schweiz, USA, Australien, Indien, Taiwan und Korea. Daran läßt sich
auch erkennen, dass Roland Summer zu den ganz wenigen Keramikern in Österreich
gehört, die weltweit große Anerkennung finden. (Der Text erschien in englischer Übersetzung in CERAMICS ART & PERCEPTION Heft 69, Sydney 2007) zurück
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